It is the cache of ${baseHref}. It is a snapshot of the page. The current page could have changed in the meantime.
Tip: To quickly find your search term on this page, press Ctrl+F or ⌘-F (Mac) and use the find bar.

„Unsere Wanderung ist ein Komplex von abhängigen Ereignissen…“
Navigation – Plan du site
Mondes en narration

„Unsere Wanderung ist ein Komplex von abhängigen Ereignissen…“

Wirtschaftsbelletristik – Betriebswirtschaft als Poetologie
Alexander Preisinger

Résumés

Cet article présente une étude sur le genre de la littérature économique narrative, qui jusqu’à présent n’a pas fait l’objet de recherches approfondies. L’auteur prend comme point de départ les réflexions développées par Kathrin Röggla et Nassim Nicholas Taleb sur la possibilité de représenter de façon narrative l’économie. Il s´agit de relier des concepts de théorie narrative avec la fonction didactique des romans de ce genre et de décrire leur fonctionnement. La littérature économique, en utilisant des concepts de gestion d’entreprise comme poétique, a recours dans sa représentation à des stratégies narratives qui ont une influence sur l’ordre du savoir économique. Dans une démarche comparative, l’auteur étudie ensuite le roman français contemporain Marge brute de Laurent Quintreau en tant qu’exemple d’un ordre du savoir interdiscursif, en en interrogeant le savoir représenté et les méthodes de représentation.

Haut de page

Entrées d’index

Géographique :

Allemagne, France

Schlagwörter :

Erzähltheorie, Literatur, Wirtschaft
Haut de page

Texte intégral

„Unsere Wanderung ist ein Komplex von abhängigen Ereignissen…“ (Goldratt, Cox, 2008: 115)

Wirtschaftsbelletristik – Betriebswirtschaft als Poetologie

1„Und wie soll man sich für den Klimawandel verantwortlich fühlen, wenn sich schon niemand mehr für seine Geschäftsentscheidungen verantwortlich fühlt? Wenn zwei sich nicht kloppen, das ist Drama. Nur, wie erzählt man sowas?“ Mehrfach stellt Kathrin Röggla in ihren aktuellen Veröffentlichungen (2009a: I, vgl. 2009b) diese Frage und sucht nach Darstellungsmöglichkeiten der Finanzmarktkrise. Die Darstellungslogik diverser Genres – Katastrophen-, Gespensterfilm, Fernsehkrimi oder Shakespeare-Remake –, erweist sich als ungenügend: So scheint etwa das Drama in einer Welt, deren Kontingenz nicht mehr durch Ursache-Wirkungszusammenhänge darstellbar ist, als dramaturgisch untauglich. Das von Röggla konstatierte darstellerische Defizit der ökonomischen Wirklichkeit wendet der Finanzmathematiker und ehemalige Hedgefondsmanager Nassim Nicholas Taleb in seiner vieldiskutierten Erkenntnis- und Wissenschaftskritik Der schwarze Schwan (2009) ins Positive: Mit der Bezeichnung „narrative Verzerrung“ würdigt er zwar die Erinnerungsleistung des Erzählens, führt diese aber auf ihren Muster-Charakter und die Reduktion von Komplexität zurück, was das Erzählen zur verfänglichen Vereinfachung komplizierter Sachverhalte macht: „Unsere Neigung, Narrativität und Kausalität wahrzunehmen – sie den Dingen aufzuerlegen –, sind Symptome derselben Krankheit: Der Reduktion der Dimensionen.“ (Taleb, 2009: 97)

  • 1  Dabei handelt es sich um ein Subgenre des erzählenden Sachbuchs, das sich nachwievor großer Belieb (...)
  • 2  Umgekehrt kann man sich die Frage stellen, wie literarische Inhalte wiederum in der Ökonomie wirks (...)

2Röggla und Taleb reflektieren gleichermaßen die Frage nach der Angemessenheit des Erzählens und das Verhältnis von Erkenntnis- und Darstellungsmodus, denn offensichtlich lässt sich nicht jeder Gegenstand erzählen, noch ist das Erzählen als Darstellungsform für jeden Gegenstand tauglich. Einer der Orte, an dem dieses Spannungsverhältnis virulent wird, ist die Wirtschaftsbelletristik:1 Ihr Charakteristikum ist die Hybridität, die sachliterarische Informationen im Modus des Narrativen, als Kriminalroman/Thriller (etwa: Finder: Masterplan, Frey: Das Delphi Projekt, Karnani: Turnaround) oder als Unternehmergeschichte vermittelt.2 Es handelt sich dabei um ein Erzählen, mit dem das Wissen über Projektmanagement, Bilanzierung und Firmenübernahmen veranschaulicht wird. Die Protagonisten sanieren Firmenbilanzen, erhöhen die Effizienz ihrer Produktionsstätten oder stellen Großaufträge termingerecht fertig. Die Hochzeit der Wirtschaftsbelletristik fällt mit jener der New Economy zusammen (Ende der 1990er-Jahre) – ebenso wie ihr Niedergang. Ab dem Jahr 2004 erschienen deutlich weniger Bücher, im Jahr 2007 wurde dieses Genre schließlich eingestellt. (Freund, 2009)

  • 3  Die Romane werden im Folgenden als Der Termin, Das Ziel, Die Bilanz bzw. Die Wette zitiert.
  • 4  Für Vorgehen und Begrifflichkeit vgl. etwa Lahn, Meister, Aumüller (2008).
  • 5  Vgl. für die literaturwissenschaftliche Behandlung von Wirtschaftsbelletristik Pott (2004): Für Po (...)

3Die vorliegende Untersuchung widmet sich jenen Werken dieses Genres, deren erzähltheoretische Parameter nicht durch die gattungstypischen Konventionen des Kriminalromans oder Thrillers überformt sind. Ausgewählt wurden vier repräsentative Romane3: Der Bestseller Der Termin (DeMarco, 2007), Das Ziel (Goldratt, Cox, 2008) als Beispiel für ein Buch aus der Old Economy, Die Bilanz für die New Economy (Diefenbach, 2002) und Die Wette (Jacoby, 2002). Zunächst geht es um eine erzähltheoretische4 Beschreibung dieses hybriden Genres. Als zentrale Kategorien einer Analyse werden Figurenzeichnungen, Kontingenzbildung und der Plot beschrieben. Darüber hinaus soll auch die Verschränkung und Wechselwirkung zwischen Erzählung und betriebswirtschaftlichem Wissen – ganz im Sinne neuerer Arbeiten zum Wissen der Literatur5 – untersucht werden. Im Anschluss an Röggla und Taleb stellt sich die Frage nach einer Poetologie des ökonomischen Wissens, nach Bedingungen und Verfahren der betriebswirtschaftlichen Wissensordnung in literarischen Texten. Ökonomie als poetologische Wissensordnung verstanden konstruiert eine bestimmte Realität, indem sie entsprechend ihrer diskursiven Ordnung Ereignisse auswählt, kodiert und in Zusammenhänge bringt und damit über deren Wahrscheinlichkeit und Kontingenz bestimmt. Die narrative Ökonomie als literarischer Inhalt – erzähltheoretisch das „Was?“ – ist somit von einer Form ökonomischer Narrativität der Darstellung – dem „Wie?“ – nicht zu trennen. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach den Darstellungsmöglichkeiten und -grenzen durch die gegenseitige Funktionalisierung narrativer Ökonomie und ökonomischer Narration. Hier bietet sich ein vergleichender Blick auf die aktuelle deutsch-französische Literatur am Beispiel Das Meeting. Und morgen bin ich dran von Laurent Quintreau an, in dem das Wirtschaftliche durch gänzlich unterschiedliche Diskurse und Erzählstrategien verhandelt wird.

Wirtschaftsbelletristik als Optimierung des Narrativen

4In DeMarcos Roman Der Termin wird Mr. Tompkins, ein arbeitslos gewordener Systemmanager, gekidnappt. Morovien, ein ehemaliger kommunistischer Staat, benötigt den erfahrenen Manager für den Aufbau seiner Softwareindustrie durch sechs Schlüsselprojekte. Die knappe Zielvorgabe wird durch den Antagonisten, Minister Belok, noch weiter erhöht und führt zu einer Abfolge unterschiedlichster betriebswirtschaftlicher Problemfälle – etwa Konflikte innerhalb der Arbeitsgruppen, zu knapp bemesse Zeitbudgets, sinkende Motivation der Mitarbeiter –, die Tompkins dank externer Experten im Wechselspiel von Problemsituation, Reflexion und Lösung bewältigt. Das Erfolgsnarrativ gelingt zuletzt: Belok wird abgesetzt, der Protagonist heiratet und Morovien wird in eine AG umgewandelt.

5Folgt man den Angaben des Klappentextes, orientiert sich Wirtschaftsbelletristik ganz am Prinzip des barockschen prodesse et delectare. Der Klappentext von Diefenbachs Roman Die Bilanz lautet:

„Eine fesselnde Story von den Anfängen eines Unternehmens bis zum Börsengang – inklusive Intrigen, Lügen, Blamage und Rache. Und nicht zuletzt Liebe. Ganz nebenbei erfahren Sie Wissenswertes über die wichtigsten Begriffe und Tricks aus der Finanzwelt (von Asset Management bis zu Venture Capital) und über ein innovatives, vom Autor entwickeltes Bilanzmodell. Ein packender Businessroman – spannend bis zur letzten Zeile, lehrreich auf jeder Seite!“ (Die Bilanz, Klappentext).

6Die romanhafte Vermittlung betriebswirtschaftlichen Wissens verweist auf eine spezifische, ihr inhärente narrative Ökonomie: Unterhaltung und Wissensbestandteile müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Tun sie es nicht, dominieren entweder die unterhaltenden Elemente auf Kosten wissensspezifischer Bestandteile und der fachliche Nutzen wird gering sein. Umgekehrt kann die Wissenskomponente zu sehr in den Vordergrund rücken, was zur Annäherung an das deskriptive Sachbuch führt. Die narrative Ökonomie folgt damit insofern einem ökonomischen Prinzip, als sie aus einem Verhältnis von unterhaltenden und sachlichen Anteilen ein Maximum an unterhaltendem Wissenszuwachs zu evozieren sucht.

  • 6  Vgl.: Tompkins vs. Belok (Der Termin), Icks vs. Luzius (Die Bilanz), Zellner vs. Springer-Reuss (D (...)
  • 7  Vgl.: Ex-General Markov (Der Termin), Produktionsleiter Bob Donovan (Ziel)
  • 8  Vgl.: Nils (Die Bilanz), Rainer Kattenbach (Die Wette)

7Eine wesentliches Element im Wechselspiel von narrativer Ökonomie und ökonomischer Narration liegt in der Reduktion narrativer Komplexität durch Eindeutigkeit: So sind etwa alle Handlungen teleologisch organisiert; sie lassen sich von ihrem Ende her als ein betriebswirtschaftlich stets komplexer werdendes Erfolgsnarrativ lesen. Sie verfügen über eine klare Quest-Struktur, die entsprechend ihrer betriebswirtschaftlich-narrativen Logik zumeist aus einem zu fertigenden Werk und einem Zeitpunkt besteht: Fabrikmanager Alex Rogo muss etwa, will er die Schließung seines Werks abwenden, innerhalb von sechs Monaten für deutliche Produktivitätszuwächse sorgen (Das Ziel), Jungchef Springer-Reuss wettet mit Vertriebsleiter Zellner innerhalb eines halben Jahres fünf Millionen Euro Umsatz zu machen (Die Wette). Neben der Reduktion des Plots auf eine übersichtliche Abfolge (nach dem Schema: Aufgaben-Lösung-Reflexion) werden auch die anderen Parameter des Diskurses und des Erzählens deutlich strukturiert: Dazu gehören deutlich gekennzeichnete Antagonismen6, die stereotyp mit bestimmten betriebswirtschaftlichen Eigenschaften gekoppelt werden: So ist die Konkurrenzsituation zwischen Icks und Luzius (Die Bilanz) zugleich ein Wettbewerb zwischen New und Old Economy. Vertriebsleiter Zellner, als Vertreter eines traditionellen prämienorientierten Einzelkämpfertums, konkurriert mit dem Jungchef der Firma, der ein neues team- und kundenorientiertes Vertriebssystem einführen will (Die Wette). Es sind Oppositionsstrukturen unterschiedlichster Felder (alt-jung, statisch-dynamisch, Beharren-Fortschritt), die die bestimmenden Isotopien bilden und zu Stereotypen führen, deren redundante und wiederholende Eigenschaften die Archetypen des betriebswirtschaftlichen Erzählens bilden: Dazu zählen etwa die sich als bodenständig inszenierenden Führungskräfte, die die betrieblichen Hierarchien überspringen und eine kumpelhafte Vertrautheit unter den Arbeitern genießen7 oder der eloquente und smarte Verkäufertypus8. Charaktereigenschaften werden an das äußere Erscheinungsbild geknüpft und ontologisiert:

„Eddies Gang steht für seine Persönlichkeit. Es ist so, als würde er stets auf einem schmalen und geraden Strich entlangmarschieren. Die Hände kreuzen einander steif vor dem Körper, scheinen immer auf den jeweils anderen Fuß zu zeigen. Und all das geschieht, als hätte er in einem Handbuch nachgelesen, wie man richtig zu gehen hat. Als er herankommt, denke ich, Eddie wird in seinem Leben noch nie etwas Unrechtes getan haben – es sei denn, man hätte es von ihm verlangt. Man könnte ihn Mister Vorschrift nennen.“ (Das Ziel : 63)

8Auf Nebenhandlungen, wechselnde Perspektivierung, Varietäten in den Zeitrelationen zwischen Diskurs und Geschichte als komplexitätssteigernde Elemente des Diskurses wird weitgehend verzichtet. Dies verringert die narrative Komplexität zugunsten eines Aufmerksamkeitsfokus, der die narrative Form als Transporteur des sachbezogenen Inhalts erkennt. Die Reduktion ermöglicht betriebswirtschaftliche Situationen archetypischen Charakters, die vom Leser durch die deutliche Quest-Struktur und die markierten Referenzen als das Setting ganz bestimmter prototypischer Situationen wahrgenommen werden. Jeder Roman beinhaltet etwa einen Konflikt-Plot zwischen Mitarbeitern, deren konträre Ansichten zu Streit führen. Die von einer Vielzahl an Markierungen gerahmte Situation wird durch die Protagonisten mittels eines Bündels ebenso wiederkehrender Techniken (Gespräch zwischen den Beteiligten, Mentoren-Gespräch, Verlagerung des Problems auf die Sachebene) gelöst. Damit stellt Wirtschaftsbelletristik, entsprechend ihres didaktischen Charakters, ein wiederkehrendes Repertoire an narrativen Heuristiken zur Verfügung, die, wie es scheint, im beruflichen Alltag als Deutungshilfe Verwendung finden sollen. Ganz im Sinne von Roland Barthes inszenieren die Romane somit die Mythen der Betriebswirtschaft.

9Dem Abbau von Literarizität stehen textuelle Strategien gegenüber, die den sachbezogenen Anteil deutlich sichtbar machen und die als Markierung bezeichnet werden sollen. Der sachbezogene Anteil entspricht dem Wissensteil, der sich explizit formulieren und unabhängig der konkreten Situation zur Anwendung bringen lässt und für den das Narrative nur das Anschauungsmaterial bietet. Am deutlichsten markiert werden die sachbezogenen Bestandteile durch grafische Elemente, etwa Textboxen (Die Bilanz), oder in Form eines Anhangs (Die Wette). Power-Point Folien, Notizzettel (Die Wette) und Tagebucheinträge (Der Termin) sind fiktionsinterne Elemente, die dazu dienen referenzbezogene Textteile zu markieren. Solcherart wird die narrative Illusionsbildung nicht durchbrochen:

PERSÖNLICHES TAGEBUCH

VON WEBSTER TATTERSTALL TOMPKINS

MANAGER

[…]

Vier Grundsätze guten Managements:

Wählen Sie die richtigen Leute aus.

Betrauen Sie die richtigen Mitarbeiter mit den richtigen Aufgaben.

Motivieren Sie die Mitarbeiter.

Helfen Sie den Teams, durchzustarten und abzuheben.

(Alles andere sind Administrivialitäten).

(Der Termin : 23-24)

10Gesetzesartige bzw. allgemeingültige Feststellungen fungieren als Elemente der Reflexion und des erkenntnissichernden Resümees. Sie sehen vom konkreten Gang der Handlung ab und sind, bezogen auf die fiktionalen Ereignisse, referenzlos. Sie stellen jenen Anteil dar, den der Leser als Lehre gewissermaßen mitnimmt. Beispielhaft sei hier eine Stelle aus Diefenbachs „Die Bilanz“ angeführt, in welcher der erfahrene Protagonist den Start-up-Unternehmern Möglichkeiten aufzeigt, ihre Kapitaldecke zu erhöhen:

„Eine weitere Möglichkeit der Kapitalbeschaffung durch Zahlungsaufschub könnte man bei der Zahlung von ausstehenden Rechnungen nutzen. Wenn eure Firma zukünftig Rechnungen nicht gleich bei der Lieferung zahlt, verliert ihr zwar Kontoabzug. Aber ihr beschafft euch einen Lieferantenkredit“ (Die Bilanz: 53).

11Damit wissensvermittelnde Situationen entstehen können, braucht es asymmetrisch verteilte Wissensbestände. Als epistemologische wie didaktische Konsequenz der internen Fokalisierung liegt das Wissensdefizit immer bei der Hauptfigur. Aus gattungsspezifischer Perspektive lässt sich die Wirtschaftsbelletristik als betriebswirtschaftlicher Bildungsroman lesen, bei dem der Protagonist in Konfrontation mit zunehmend komplexer werdenden Aufgaben an Wissen und Selbstvertrauen gewinnt. Das Narrative, dessen Eigenschaft in der zeitlichen Verknüpfung von Ereignissen besteht, betont das Prozessuale. Wissen wird daher nicht wie im Sachbuch präsentiert, sondern als Endprodukt eines Falsifikationsprozesses, den eben die Erzählung illustriert, dargestellt. Die Wissensgenerierung geschieht vor allem im Gespräch, einer Darstellungsform, die Goldratt und Cox in einer Art Poetik der Wirtschaftsbelletristik als „sokratisch“ (Das Ziel: 296) bezeichnen. Das narrative Setting hierzu ist in allen Romanen gleich: Der Protagonist ist umgeben von Experten anderer Fachbereiche, jeder ist im Gebiet des anderen unbedarft. Der gegenseitige Informationsbedarf zwischen den Teilnehmern ist dementsprechend groß und äußert sich im dialogischen Lernprozess:

„‚Wissen Sie‘, sagt er dann, ‚es gibt schließlich auch Unternehmen, die mit gutem Nettoertrag und blendender Rendite Konkurs anmelden mussten.‘
‚Weil ihnen die liquiden Mittel ausgingen‘, pflichte ich ihm bei.
‚Genau‘, sagt er. ‚Ein negativer Cashflow bringt die meisten Unternehmen um.‘
‚Als dritte Kennzahl müssten wir also den Cashflow dazunehmen, oder?‘
Er nickt.“ (Das Ziel: 58)

12Probleme werden besprochen, Lösungsmöglichkeiten erwogen, in Frage gestellt, aus unterschiedlichen Perspektiven verhandelt und schließlich beschlossen. Sollte das Gegenüber fehlen, wird auf das Stilmittel der monologischen Rede zurückgegriffen.

13Damit die Erzählung der didaktischen Konzeption folgen kann, orientiert sie sich an zwei weiteren Prinzipien: Die asymmetrisch verteilten Wissensbestände müssen eine Ökonomie der Wissensvergabe beachten, die aufsteigend von den Grundlagen, stets aufbauend auf dem bereits Vermittelten, zur narrativen Exemplifizierung führt. In Die Wette macht Manager Zellner durch Zufall erste Erfahrungen mit der Strukturierten Analyse, wohnt anschließend dem Verkaufserfolg des neuen Projektteams bei und lässt sich danach das System erklären. Das System der Begebenheiten, die Kontingenz und die Auswahl der Ereignisse folgen der didaktischen Anschaulichkeit, indem sich die Ereignisse als Anlässe anbieten den Sachbestandteil zu wiederholen, zu reflektieren und zu erweitern. Nach der Typologie von Martinez und Scheffel (2007: 111) sind die Handlungen vom Ende her teleologisch, in der Logik ihres Auftretens aber streng kausal motiviert. Dies vereinfacht nicht nur den Gang der Handlung hinsichtlich seiner Darstellbarkeit, vielmehr zeigt sich das Wechselspiel von narrativer Ökonomie und ökonomischer Narration, indem sich die Budgetierungs- und Managementmethoden selbst als ordnend und daher wirkungsvoll erweisen. Goldratts und Cox´ Das Ziel reflektiert insofern diese Regelpoetik der Ereignisse, als der Protagonist Axel Rogo seine Arbeit zuletzt mit der eines Physikers vergleicht:

„WENN die Hypothese richtig ist, DANN muss logischerweise auch ein anderer Tatbestand gegeben sein. […] Dinge, von denen wir nie geglaubt haben, dass sie irgendetwas mit einander zu tun haben, zeigen plötzlich eine eindeutige Verbindung. Weißt du, Julie, es ist fast so, als würde Ordnung aus Chaos entstehen.“ (Das Ziel: 351)

14Die Geschichte um Rogo ist nicht zuletzt die zunehmende Ordnung der Welt durch ein Netzwerk der Begrifflichkeiten und Formen der Anschauung (Theory of Constraints), die ihn nicht nur seine Firma, sondern auch seine Ehe retten lassen.

Abseits der narrativen Optimierung: Wirtschaft in der Literatur

15An die Behandlung des Verhältnisses von Wissen und seiner Darstellung in der Wirtschaftsbelletristik knüpft sich die Frage, welche erzähltheoretischen und epistemologischen Implikationen eine Literatur beinhaltet, die sich der Wirtschaft ohne fachwissenschaftliche Regelpoetik nähert. Jeder literarische Text ist selbst eine Wissensform, „sofern er die Grenzen von Sichtbarem und Unsichtbarem, Aussagbarem und Nicht-Aussagbarem fortsetzt, bestätigt, korrigiert oder verrückt.“ (Vogl, 2008: 15) Möglichkeit und Ordnung der literarischen Aussagen konstituieren so das Wissen der Literatur.

  • 9  Vgl. etwa für Themen und Motive der Pop-Literatur Warner (2006: 93–105)

16Erforscht man die literarische Verarbeitung des gegenwärtigen Kapitalismus, so gerät fast zwangsläufig die zeitgenössische französische Literatur mit den Werken von Houellebecq und Beigbeder samt ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftskritik (vgl. Angermüller, 2004: 143–163) in den Blick, die auch im deutschen Sprachraum ihre Anknüpfungspunkte hinterlassen haben.9 Es ist auch nicht verwunderlich, wenn zuletzt eine Vielzahl französischer Werke entstanden ist, die eine kritische Thematisierung des Ökonomischen zum Thema haben: Allen voran die Arbeitsautobiographie, etwa der Germanistin und Kassiererin Anna Sam (Les tribulations d'une caissière), Catherine Sanderson (Petite Anglaise) oder deren deutsches Pendant Katharina Münk (Und morgen bringe ich ihn um! Als Chefsekretärin im Top-Management). Dazu gehören auch die Werke der in Französisch publizierenden Autorinnen Amélie Nothomb (Stupeur et Tremblements) und Anne Weber (Gold im Mund). Sie alle schildern meist aus ironisch-lakonischer Perspektive den Arbeitsalltag von Angestellten.

17Bemerkenswert ist vor allem Laurent Quintreaus Roman Und morgen bin ich dran. Das Meeting (2009), auf den im Folgenden näher eingegangen werden soll, um beispielhaft das Wissen der Literatur in Kontrast zur Wirtschaftsbelletristik zu setzen. Das Ausgangsszenario des Romans ist der Wirtschaftsbelletristik zunächst nicht unähnlich: Bei dem um 11 Uhr anberaumten Meeting kommen mit dem Vorstandsvorsitzenden Rorty zehn weitere Manager eines internationalen Konzerns zusammen. Rorty wurde von New York nach Paris versetzt und soll nun eine Restrukturierung vornehmen. Wechselnd fokalisiert und als innerer Monolog gestaltet, ist jedes Kapitel einem der Anwesenden gewidmet. Bedient sich Wirtschaftsbelletristik programmatischen Wissens, das den Gang der Handlung leitet, so ist es in diesem Buch Dantes Göttliche Komödie, auf die durch die Kapitelstruktur (jeder Mitarbeiter steht für je einen Kreis bzw. für Fegefeuer und Paradies), Namen (einer der Manager heißt Alighieri) und eine Vielzahl intertextueller Verweise Bezug genommen wird.

18Das Setting der Literatur erweist sich gegenüber der Wirtschaftsbelletristik als ungleich freier, da sie ein von der expliziten Formulierung von Wissensformen weitgehend unbeeinflusstes Schreiben ermöglicht. Dies zeitigt zwei Effekte: Erstens muss sich Literatur, wenn sie dennoch über gesellschaftlich ausdifferenzierte Bereiche spricht, eines reintegrierenden und damit interdiskursiven Sprechens bedienen. Zweitens kann Literatur über die etablierten fachwissenschaftlichen Wissens- und Darstellungsordnungen hinausgehen und dadurch Sachverhalte sichtbar machen, die etwa die Wirtschaftsbelletristik kategorisch ausschließen muss:

19Einer jener Wissensbereiche, in dem Literatur reintegrativ abseits fachwissenschaftlicher Perspektive wirkt, ist die Kritik am Neoliberalismus, die mit der Zitation hauptsächlich sozialdarwinistischer Symbole einher geht. Rorty kleidet die Vorstellung von wirtschaftlichen Prozessen ganz in „leere [...] Phrasen über Veränderung und Evolution“ (Quintreau, 2009: 76): „Fortschrittfeindlichkeit“ (Quintreau, 2009: 89), „Wille [...] zum Wettbewerb und de[r] spirit of challenge“ (Quintreau, 2009: 100) führen zu einer Mischung von biologischem, wirtschaftlichem und nationalsozialistischem Diskurs. Diese Form der sprachlichen Verfasstheit von Wirtschaft und damit zugleich der Wirtschaftskritik stellt einen literarischen Spezialdiskurs dar: Er durchzieht die Werke von Urs Widmer (Top Dogs), Rolf Dobelli (Und was machen Sie beruflich?) oder Marlene Streeruwitz (Jessica, 30.). Implizit referiert Literatur damit auf wirtschaftswissenschaftliche Spezialdiskurse, etwa den der evolutionistischen Ökonomie oder die Arbeiten des neoliberalen Friedrich August von Hayek und dessen kulturelle Evolution.

20Als zweiten Wissensbezug entfaltet der Roman ein transdisziplinäres Wissen um die Bezüglichkeit des Menschen im Rahmen ökonomischer Verhältnisse. Die wechselnden Fokalisierungen entblößen die desaströsen Innenwelten der durch Alkohol-, Nikotinsucht, Narzissmus und Autoaggression gezeichneten Manager, die im intertextuellen Setting der Göttlichen Komödie ihren literarisch-fachdiskursiven Ausdruck finden. In der Literatur werden Erfahrungen artikuliert, die sich als Ökonomisierung und neoliberale Gouvernementalität benennen lassen und damit kritisches Potenzial entfalten. Rorty verbindet Managementweisheiten mit religiösen Weisheitslehren: Holismus, der Zwang zur ständigen Veränderung und zur absoluten Flexibilität gerinnen zu einem „philosophisch-anthropologische[n] Managerbrei“ (Quintreau, 2009: 100), der den ganzen Menschen in die wirtschaftlichen Prozesse einbezieht.

21Literatur kann gegenüber der hybriden Wirtschaftsbelletristik fachspezifische Wissens- und Darstellungsgrenzen gezielt übersteigen: Statt idealer Kommunikation wird der Leser mit mangelnder Aufmerksamkeit konfrontiert, statt des Willens zur ständigen betrieblichen Veränderung mit der Angst um den Arbeitsplatz, statt Kommunikationsbereitschaft und umfassender Vernunft erfährt er Gesprächsverweigerung, Sadismus und Autoaggression. Wenn Wirtschaftsbelletristik Unstimmigkeiten zwischen den Mitarbeitern rahmt, durch eine Quest-Struktur überformt und deren Lösung letztlich immer als Erfolgsnarrativ präsentiert, muss sie damit zugleich vor dem Pathologischen, dem Extremen und dem aus der Kontingenz des didaktischen Narrativs Ausbrechenden Halt machen. Quintreaus Werk über die Destabilisierung, Transformation und Destruktion von Menschen in ökonomischen Zusammenhängen vermag letztlich inhaltlich und formal Potenziale zu realisieren, die der Wirtschaftsbelletristik aufgrund ihrer narrativen Logik nicht zugänglich sind. Literatur ist nicht Veranschaulichungsmedium einer auf eine mechanische Problemlösung abzielenden, wissenschaftlich-neutralen Methode, sondern zeigt vielmehr Menschen in ökonomischen Bezügen, ohne dabei die fachdiskursiven Wissensordnungen wiedergeben zu müssen. Das Verhältnis zwischen narrativer Ökonomie und ökonomischer Narration ist damit unvorhersagbar und relativ frei in der Gestaltung. Während Wirtschaftsbelletristik Erzählungen hinsichtlich ihrer didaktischen Anschaulichkeit optimiert, ist die Darstellung von Wirtschaft in der Literatur durch Uneindeutigkeit, Ambivalenz und Gegendiskurse bestimmt. Statt mit dem Sinn sparsam hauszuhalten, wie es die Wirtschaftsbelletristik tut, wird er in der Literatur gewissermaßen verschwendet. Dadurch hat Literatur die Möglichkeit, die in der Wirtschaftsbelletristik verschwiegenen Erzählungen und Wissensformen zu präsentieren.

Haut de page

Bibliographie

Angermüller, Johannes (2004): Neoliberale Hegemonie und postmoderne Subjektivität. Eine diskursanalytische Annäherung an Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“, in: Die Gesellschaft der Literatur. Opladen (Verlag Barbara Budrich), S. 143-163.

DeMarco, Tom (2007): Der Termin. Ein Roman über Projektmanagement. München (Hanser).

Diefenbach, Heiner (2002): Die Bilanz. Ein Roman über Finanzen, Rache und Liebe. Landsberg/Lech (Redline-Wirtschaft).

Feldmeier, Jutta (2001): Der Unternehmer in der Erzählliteratur. Betriebswirtschaftliche Studien zur Darstellung der Romanfigur des Unternehmers und Bedeutung der Romane für Unternehmer anhand ausgewählter Beispiele. St. Gallen (Univ.-Diss.).

Freund, Wieland (2004): Auch der Wirtschaftsroman hat die Gegenwart erreicht. In: Welt Online, http://www.welt.de/print-welt/article330330/Auch_der_Wirtschaftsroman_hat_die_Gegenwart_erreicht.html [zugegriffen am 22.07.2009].

Goldratt, Eliyahu M. und Cox Jeff (2008): Das Ziel. Ein Roman über Prozessoptimierung. Frankfurt (Campus Verlag).

Horst, Sandra von der (2008): Das Unternehmerbild in der deutschen Gegenwartsliteratur. Eine Analyse anhand der Romane „Der schwarze Grat“ von Burkhard Spinnen und "Wenn 'wir' sterben" von Ernst-Wilhelm Händler. Saarbrücken (VDM).

Jacoby, Sher (2002): Die Wette. Ein Roman über die hohe Schule des Verkaufens. München (Econ).

Klausnitzer, Ralf (2008): Literatur und Wissen. Zugänge - Modelle - Analysen. Berlin (de Gruyter).

Lahn, Silke, Jan Christoph Meister und Matthias Aumüller (Hg.) (2008): Einführung in die Erzähltextanalyse. Stuttgart (Metzler).

Martinez, Matias und Michael Scheffel (2007): Einführung in die Erzähltheorie. München (Beck).

Pott, Sandra (2004): Wirtschaft in der Literatur. „Ökonomische Subjekte“ im Wirtschaftsroman der Gegenwart. KulturPoetik, 4.2, S. 202-217.

Quintreau, Laurent (2009): Und morgen bin ich dran. Das Meeting. Zürich (Unionsverlag).

Röggla, Kathrin (2009a): Traktat vom Kloppen, Spectrum – Die Presse, 21.03.2009. S. I.

--- (2009b): Gespensterarbeit, Krisenmanagement und Weltmarktfiktion. Wien (Picus).

Taleb, Nassim Nicholas (2009): Der schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse. München (Hanser).

Vogl, Joseph (2008): Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. Zürich (Diaphanes).

Warner, Ansgar (2006): Molekülspiele in der projektbasierten Polis. Zur Anthropologie der New Economy in der urbanen Pop-Literatur des 21. Jahrhunderts. Germanistische Mitteilungen, 63, S. 93-105.

Haut de page

Notes

1  Dabei handelt es sich um ein Subgenre des erzählenden Sachbuchs, das sich nachwievor großer Beliebtheit erfreut, siehe etwa: http://www.immer-schoen-sachlich.de/die-besten-deutschsprachigen-sachbucher-des-jahres-2008/ Eine umfangreiche Liste speziell für Wirtschaftsbelletristik: http://wirtschaftsroman.ohlenbostel.de/html/vorschau.html.

2  Umgekehrt kann man sich die Frage stellen, wie literarische Inhalte wiederum in der Ökonomie wirksam sind, vgl etwa die Arbeit von Feldmeier (2001)

3  Die Romane werden im Folgenden als Der Termin, Das Ziel, Die Bilanz bzw. Die Wette zitiert.

4  Für Vorgehen und Begrifflichkeit vgl. etwa Lahn, Meister, Aumüller (2008).

5  Vgl. für die literaturwissenschaftliche Behandlung von Wirtschaftsbelletristik Pott (2004): Für Pott, obwohl sie die Wirtschaftsromane klassifiziert, existiert allein der „financial thriller“, was allerdings nur auf einen Teil der veröffentlichen Literatur zutrifft. Eine stark an Pott orientierte Arbeit von Sandra von der Horst beschäftigt sich ebenfalls peripher mit Wirtschaftsbelletristik (vgl. von der Horst, 2008: 15-17). Zum Wissen der Literatur siehe das gleichnamige Buch von Klausnitzer (2008).

6  Vgl.: Tompkins vs. Belok (Der Termin), Icks vs. Luzius (Die Bilanz), Zellner vs. Springer-Reuss (Die Wette)

7  Vgl.: Ex-General Markov (Der Termin), Produktionsleiter Bob Donovan (Ziel)

8  Vgl.: Nils (Die Bilanz), Rainer Kattenbach (Die Wette)

9  Vgl. etwa für Themen und Motive der Pop-Literatur Warner (2006: 93–105)

Haut de page

Pour citer cet article

Référence électronique

Alexander Preisinger, « „Unsere Wanderung ist ein Komplex von abhängigen Ereignissen…“ », Trajectoires [En ligne], 3 | 2009, mis en ligne le 16 décembre 2009, consulté le 07 mars 2014. URL : http://trajectoires.revues.org/347

Haut de page

Auteur

Alexander Preisinger

Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, alexander.preisinger@oeaw.ac.at

Haut de page

Droits d’auteur

© Tous droits réservés

Haut de page
  •  
    • Titre :
      Trajectoires
      Travaux des jeunes chercheurs du CIERA
      En bref :
      Revue interdisciplinaire franco-allemande promouvant un échange de connaissance entre les deux pays
      A French-German multidisciplinary journal promoting scientific collaboration between the two countries
      Sujets :
      Europe, France, Monde germanique
    • Dir. de publication :
      Michael Werner
      Éditeur :
      Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne (CIERA)
      Support :
      Électronique
      EISSN :
      1961-9057
    • Accès :
      Open access Freemium
    • Voir la notice dans le catalogue OpenEdition
  • DOI / Références